TSG in Neunkirchen

Plädoyer für mehr Europa

Thorsten Schäfer-Gümbel stimmte in Neunkirchen auf den Europawahlkampf ein

Zum SPD-Jahresempfang 2019 freuten sich der Vorsitzende des SPD Gemeindeverbandes Neunkirchen Hans-Jürgen Möller und der Fraktionsvorsitzende Jan Weigel  mit Thorsten Schäfer-Gümbel den Vorsitzenden der SPD Hessen im vollbesetzen Sitzungssaal des Ratshauses begrüßen zu können. Nach weiteren Grußworten des Neunkirchener Bürgermeisters Dr. Bernhard Baumann und des Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Siegen-Wittgenstein Heiko Becker wurden zunächst Alfred Becker für 50 Jahre sowie Jürgen Jung und Karl-Heinz Petri für 25 Jahre Mitgliedschaft in der SPD geehrt. Den offiziellen Teil bereicherte die „Stimmbänd“ des MGV 1848 Salchendorf durch gekonnte musikalische Beiträge und die Frauen der ASF sorgten für die gelungene Bewirtung.

Höhepunkt war die eindrucksvolle, klar strukturierte Rede des stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden Schäfer-Gümbel, der zunächst erzählte, dass er auf Twitter nach seinem persönlichen Europa-Ereignis gefragt worden sei. Dies sei für ihn seine Reise als 19-Jähriger nach Berlin an Ostern 1990 gewesen. Bei der Suche nach einem Mauerstück sei er mit ein paar Freunden auf den ehemaligen Todesstreifen geraten. Gleichaltrige NVA-Soldaten hätten ihnen die Weiterfahrt untersagt und mit ihnen diskutiert. Als es dunkel wurde, hätten diese gesagt, dass man jetzt weiterfahren könnte, jetzt sähen ihre Vorgesetzten es nicht mehr. Und man sei dann gemeinsam mit dem Wartburg-NVA-Geländewagen durch den Todesstreifen gefahren. Damals, so Schäfer-Gümbel, sei etwas Gutes passiert, für Deutschland und Europa und er mahnt die Versammlung, dieses wichtige Gefühl für die Europawahl weiterzutragen. Europa sei eben mehr als Gurkenkrümmungen oder ähnliche Dinge. Europa bedeute mehr als 70 Jahren Frieden, persönliche Freiheit und Pressefreiheit. Dies sei es wert, erhalten zu werden. Dafür müsse gearbeitet und gekämpft werden.

Schäfer-Gümbel forderte von seinen Parteifreunden, auf allen Ebenen gute und realpolitischen Antworten zu geben auf die Folgen der Digitalisierung, der Umweltzerstörung  der Globalisierung und der zunehmenden Ungleichheit. Das sei besonders wichtig in einer Zeit, in der eine Blockademehrheit der Anti-Europäer drohe.

Die Digitalisierung müsse einen Fortschritt für alle bedeuten, den technischen Entwicklungen müsste daher ein sozialer Fortschritt folgen, so Schäfer-Gümbel weiter. Die SPD habe ihre Erfolge für die Menschen bei der Gestaltung des Wandels erreicht. Bei diesem bevorstehenden Wandel müssten die Jobwechsel ohne Gefährdung des sozialen Status gesichert werden und bei Älteren die Lebensleistung anerkannt werden.
Im Umwelt- und Energiebereich sollte ein sozialökologische Ausgleich stattfinden, insofern begrüßte er die Ergebnisse der Kohlekommission.

Das Thema „Ungleichheit“  im Bereich Stadt/Land und bei der Einkommens- und Vermögensverteilung erfordere ein sozialdemokratisches Konzept zum Schutz von Mietern und Arbeitnehmern, damit eine Umverteilung von unten nach oben verhindert werde, sagte Schäfer-Gümbel.

Zur vielbeschworenen Frage der Globalisierung könne nur Europa ein Teil der Antwort sein, das Frieden und Sicherheit gewährleiste, so der Redner. Bei der Globalisierung beobachte er den Wunsch nach Verweigerung der Realitäten, einer Verweigerung der aktiven Gestaltung des Wandels. Unsere Werte, unsere Lebensgestaltung sei in einer Welt der autoritären Mächte wie China und Russland und einer sich von unseren Vorstellungen eines Miteinanders abwendenden USA nur in einem geeinten Europa zu bewahren. Vereinzelte europäische Nationalstaaten seien für eine solche Aufgabe viel zu schwach.

Außerdem sei  die Flüchtlingskrise als eine  dahinterstehende „Humanitätskrise“ zu begreifen, die es zu lösen gilt. Er wisse, so Schäfer-Gümbel, wovon er spreche, denn das größte Flüchtlingslager Europas befinde sich in seiner Heimat, in Gießen. Es gelte, Fluchtursachen und zunehmende Ungleichheit in der Welt zu bekämpfen. Für all diese Punkte seien nationalstaatliche Lösungen ungeeignet, so Schäfer-Gümbel. Wichtig sei es, die betroffenen Regionen und Menschen mitzunehmen und ihnen Alternativen aufzuzeigen und nicht kompromisslose Forderungen zu stellen.

Nach Einschätzung von Schäfer-Gümbel stand die SPD immer für vernünftige Lösungen mit fairen Kompromissen. Damit unterscheide sie sich von Populisten, die Emotionalität statt Kompromiss wollen, die versuchen, den politischen Kompromiss verächtlich zu machen, um Blockademehrheiten zu erreichen. Daher müssten bei der Europawahl Mehrheiten für Populisten verhindert werden –  jede Stimme zähle.

Er forderte seine Parteigenossen abschließend auf, in den Tagen vor der Europawahl Freunde und Bekannte anzurufen, um diese zum Wählen zu motivieren und erinnerte an eine Aussage des früheren hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn, der einmal sagte: „Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern auch eine Lebenshaltung“.

F.d.R – Gerd Scholl